Corona in Kriegs- und Krisengebieten – zwei Mitglieder von CampusAsyl berichten


von Lena Kerschensteiner

Seit einiger Zeit stellen das Coronavirus SARS-CoV-2 und die damit einhergehende Erkrankung COVID-19 auch reiche Länder mit stabilen Gesundheitssystemen vor völlig neue Herausforderungen. Umso stärker sind schwächere Länder und vor allem Kriegsgebiete von der Pandemie bedroht. Bereits jetzt sieht die Situation dort zum Teil sehr düster aus: Die Zahl der Bedürftigen steigt, es wird immer schwieriger ihnen zu helfen und die sonstigen „Geberländer“ ziehen sich zurück, weil sie sich auf sich selbst konzentrieren. Die Gesundheitssysteme in Kriegs- und Krisengebieten sind auf Pandemien dieser Art schlicht nicht vorbereitet.

Obwohl UN-Generalsekretär António Guterres dazu aufgerufen hat, bewaffnete Konflikte zu beenden und sich mit vereinten Kräften der Eindämmung der Pandemie zu widmen, gehen in manchen Kriegsgebieten dieser Welt die Kämpfe weiter. Aus all diesen Gründen gehen Helferinnen und Helfer vor Ort fest davon aus, dass der Nahe Osten und der afrikanische Kontinent die nächsten Hotspots der Corona-Pandemie werden. CampusAsyl zwei seiner Mitglieder zu den Situationen in ihren Heimatländern befragt.

Mati ist 26 Jahre alt und seit fünf Jahren in Deutschland, er hat eine Ausbildung absolviert und ist mittlerweile Hotelfachmann. 2016 floh er aus Afghanistan und kam schließlich in Deutschland an. Schätzungsweise sind über 150.000 Afghanen aus Furcht vor der Corona-Ausbreitung im Iran fast unkontrolliert nach Afghanistan eingereist, viele könnten mit dem Virus infiziert sein und ihn weiter im Land verbreiten. Mati kann bestätigen, dass die Infiziertenzahlen steigen, ca. 1.800 positiv getestete Fälle gibt es (Stand: 29.04.2020). Er denkt aber, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Er sagt die Ausbreitung des Virus sei „sehr, sehr schlimm.“ Mati weist darauf hin, dass immer noch große Bevölkerungsgruppen, wie im ländlichen Raum, zu schlecht über das Virus informiert sind. Sie halten sich zum Teil nicht an die empfohlenen Maßnahmen, um das Virus einzudämmen.

Gleichzeitig sind die Städte teilweise abgeriegelt. Das bedeutet auch, dass viele Leute nicht arbeiten können. Wenn Menschen gleichzeitig keine finanziellen Rücklagen bilden konnten – viele geben am Tag genau das für lebensnotwendige Dinge aus, was sie verdienen – dann ist dies hochgefährlich. „Das Leben funktioniert dort so“, sagt Mati. Das bedeutet, dass ein Großteil der Bevölkerung von akuter Armut bedroht ist und sich kein Essen mehr kaufen kann. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Lebensmittelpreise in manchen Regionen steigen und mittlerweile zum Teil sogar höher als in Deutschland liegen sollen. „60% der Bevölkerung isst nur ein- oder zweimal am Tag“, sagt Mati. Neben all dem hat Afghanistan noch viele weitere Probleme. Große Teile des Landes werden von den Taliban beherrscht, es gibt weiterhin Kämpfe zwischen diesen und der Regierung. Das Gesundheitssystem leidet darunter, Krankenhäuser sind oft sehr weit entfernt und es gibt viel zu wenig Personal oder Medikamente. Unter der Talibanherrschaft gibt es oft überhaupt keine Krankenhäuser, zum Teil deklarieren sie einige medizinische Einrichtungen oder Vorgehen, wie Impfungen, als „haram“, d.h. nach islamischem Glauben verboten, erzählt Mati. Außerdem dürfen Frauen oft nur von Ärztinnen untersucht werden, wenn es keine gibt, werden sie gar nicht behandelt. Oft sind Kranke, wenn sie es sich leisten konnten, nach Indien oder Pakistan gereist, um dort behandelt zu werden. Mit geschlossenen Landesgrenzen ist das nun nicht mehr möglich.

Ivan ist 24, seit 4 Jahren in Deutschland und momentan im ersten Lehrjahr als Chemielaborant. Er erzählt uns, dass auch in Syrien das Virus angekommen sein soll und sich wohl verbreitet. Ärzt*innen vor Ort erzählen, dass Patient*innen mit Lungenentzündung, Atemnot und extrem hohem Fieber seit Tagen in immer größerer Zahl in die Krankenhäuser eingeliefert würden. Zwar würden sie Abstriche der PatientInnen nehmen, die Ergebnisse würden aber schlichtweg nicht zurückkommen. Stattdessen werden die Ärztinnen und Ärzte angeblich von staatlichen Stellen unter Druck gesetzt. Sie sollten unter keinen Umständen erzählen, wie die Situation wirklich sei.

In den syrischen Staatsmedien wird gleichzeitig berichtet, dass es im Land kaum Infektionen gebe und sämtliche Tests negativ ausfallen würden. Auch Ivan sagt, niemand weiß, wieviele Infizierte es wirklich gibt. Die Krankenhäuser seien außerdem „sehr, sehr schlecht ausgestattet,“ es gebe wenig Personal und Medikamente, Ärzt*innen berichten dasselbe. Problematisch ist auch, sagt er, dass es keine gesetzliche Krankenversicherung gibt, sondern die Menschen die Behandlung aus eigener Tasche zahlen müssen. Große Teile der Bevölkerung sind allerdings verarmt, sie können sich den Arztbesuch also gar nicht leisten. Hilfsmittel zur Eindämmung des Virus oder sonstige staatliche Hilfen sind praktisch nicht existent, sagt Ivan weiter. Aber Grund zur Hoffnung gibt es dennoch: Er erzählt, dass es Organisationen gibt, die Masken nähen und kostenlos auf der Straße verteilen. „Die Leute helfen einander“, sagt er. In seiner Heimatstadt, die in der kurdischen Region Qamischli im Norden des Landes liegt, würden sich die Nachbarn und Familien gegenseitig helfen. Etwas Unterstützung kommt aber auch von Kurden aus anderen Ländern, wie zum Beispiel dem Irak, die zum Beispiel Krankenwagen mit Ausrüstung geschickt haben sollen. Zu Alledem kommt noch hinzu, dass auch in Syrien kein Frieden herrscht, Idlib ist immer noch umkämpft.

Doch wie sieht die Bedrohung der Pandemie für jene Geflüchteten aus, die es aus Kriegs- und Krisengebieten geschafft haben? Auch dazu können Mati und Ivan berichten. Obwohl sie selbst nicht mehr in Flüchtlingsunterkünften wohnen, kennen sie viele, die dort noch leben. Zwar sind die Zustände und Kapazitäten in den Unterkünften in Deutschland verglichen mit anderen Ländern recht gut, dennoch leben sie dort auf engstem Raum miteinander. „Social Distancing“ kann also kaum ausreichend verwirklicht werden, da oft vier Menschen in nur einem Zimmer wohnen und diese sich mit vielen mehr ein Bad oder eine Küche teilen. „Die Situation ist schrecklich“, sagt Ivan dazu. Mati weist darauf hin, dass dieses enge Zusammenleben auch negative Auswirkungen auf die Psyche haben kann, die Bedrohung durch das Virus und die Quarantäne machen diese Probleme noch schlimmer.

Bei allen Schilderungen setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Coronavirus ein globales Problem ist, das auch nur global bekämpft werden kann. Wie kann man also einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Situation für so viele notleidende Menschen bessert?

Zum einen kann man Organisationen unterstützen, indem man Petitionen unterschriebt, an weiteren Aktionen teilnimmt oder Geld spendet. Hier einige Beispiele:

  1. Ärzte der Welt – Diese Organisation ist in vielen Teilen der Welt aktiv und hilft vor Ort unter anderem mit medizinischer Unterstützung. Helfen kann man vor allem durch Spenden (Link: https://www.aerztederwelt.org).
  2. Aktion gegen den Hunger – Auch diese Organisation hilft vor Ort in vielen Teilen der Welt, um Hunger zu bekämpfen. Neben Spenden rufen sie mit einer Petition zu einem globalen Waffenstillstand auf. (Link: https://www.aktiongegendenhunger.de/globaler-waffenstillstand/faq-corona-kriegsgebiete).
  3. Seebrücke – Mit der Aktion „#leave no one behind“ fordern sie unter anderem die Evakuierung der Flüchtlingslager an der EU-Außengrenze und die Unterbringung von Geflüchteten in sicheren Umgebungen. Unterstützen kann man mit Spenden, der Teilnahme an Aktionen, aber auch mit dem Unterschreiben ihrer Petitionen (Link: https://seebruecke.org/leavenoonebehind/aufruf/).
  4. Weitere unterstützungswerte Hilfsorganisationen, die sich unter anderem für den Kampf gegen Corona und daraus resultierenden Problemen einsetzen: Care (Link: https://www.care.de), Oxfam (Link: https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen), Solidarités International (Link: https://www.solidarites.org), Save the Children (Link: https://www.savethechildren.de).


30.04.2020 17:57,
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