Interview mit Sea-Eye zur aktuellen Situation im Mittelmeer


Jeden Tag, jede Woche gibt es verschiedene Krisen auf der Welt, die wir in Europa unterschiedlich stark spüren oder von denen wir unterschiedlich viel erfahren. Ein Ausnahmezustand, der bereits mehrere Jahre andauert, ist die Situation an der europäischen Außengrenze auf dem Mittelmeer. Denn auch wenn nicht regelmäßig und umfangreich berichtet wird, herrschen dort Chaos, Angst und würdelose Zustände. Sea-Eye eine Nichtregierungsorganisationen aus Regensburg, hat sich das Ziel gesetzt, flüchtende Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten und sie an sichere Orte zu bringen. Bereits seit April 2016 tut die Organisation dies.

Zuletzt bot das Sea-Eye Rettungsschiff „Alan Kurdi“ im April 146 Menschen für 12 Tage etwas Sicherheit, Wärme und Versorgung mit Lebensmitteln. Gleichzeitig wurde auch dieser Fall wieder zu einer Zerreißprobe für alle Menschen und die Crew an Bord.  Am 17. April durfte das Rettungsschiff endlich in Palermo anlegen und die Geflüchteten auf das größere italienische Passagierschiff „Raffaele Rubattino“ umsteigen.

Mit Ursula Putz, einem Crewmitglied, konnten wir über die Situation auf dem Mittelmeer im April sprechen.

Hallo Ursula, danke für deine Zeit! Vielleicht könntest du dich zuerst einmal vorstellen und erzählen wie deine Aufgaben bei Sea-Eye aussehen und wie lange du schon Teil des Teams bist?

Mein Name ist Dr. Ursula Putz, seit Oktober 2015 bin ich Mitglied bei Sea-Eye. Momentan bin ich im Verein auch angestellt und zuständig für das Thema Ehrenamt. Bei drei Missionen auf der Sea-Eye vor der libyschen Küste war ich als Kommunikatorin auf dem Rib (Festrumpfschlauchboot) sowie als Deckhand an Bord der Sea-Eye tätig und konnte 1874 Menschen die Hand reichen und sie mit Rettungswesten und Wasser versorgen.

Zu der aktuellen Situation auf dem Mittelmeer- Was passiert dort gerade?

Am 6. April 2020 erhielten Sea-Eye und andere Seenotrettungsrettungsorganisationen ein Schreiben vom Innenministerium. Darin wurden wir aufgefordert, unsere Rettungseinsätze einzustellen. Grund dafür sei, dass Italien und Malta die Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen und Migranten aufgrund der Corona-Krise verweigerten.

Anstatt nach einer Lösung zu suchen, forderte uns das Innenministerium auf, Menschen sterben zu lassen. Als uns das Schreiben um 17 Uhr erreichte, hatten wir an diesem 6. April bereits 150 Menschenleben gerettet und zu uns an Bord genommen. In unserem Brief an Innenminister Horst Seehofer fragen wir, wem es in Europa dadurch schlechter geht, dass wir diese Menschen vor dem Tod gerettet haben.

[Hier findet ihr einmal den Link zum offenen Brief : https://sea-eye.org/offener-brief-an-innenminister-seehofer/]

Warum durfte die Alan Kurdi zunächst nicht anlegen? Hat Corona etwas damit zu tun?

Unter Koordinierung des italienischen Roten Kreuzes begann am 17.04. die Evakuierung für 146 gerettete Menschen auf das italienische Passagierschiff „Raffaele Rubattino“. Mehrere Schiffe der italienischen Küstenwache, unter anderem das Schiff „Diciotto“, waren in den Transfer der Menschen eingebunden. Auf dem italienischen Fährschiff wurden die Menschen dann für weitere 14 Tage unter Quarantäne gestellt.

Unklar ist bisher, wie es für die Menschen anschließend weitergeht. Italien hat seine Häfen für die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Menschen vorübergehend wegen des gesundheitlichen Notstandes geschlossen.

Seit Dienstag, dem 05. Mai, wurde unser Rettungsschiff „Alan Kurdi“ dann im Hafen von Palermo festgesetzt. Dies bedeutet, dass die „Alan Kurdi“ den Hafen nicht verlassen darf, um weiteren Menschen zu helfen. Grund dafür, so die italienischen Behörden, seien diverse Mängel am Schiff. Jedoch ist diese Blockade nicht handfest, sondern eher eine Taktik, um die Alan Kurdi davon abzuhalten, Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. Wie es weitergeht und wann das Schiff den Hafen den Rücken kehren kann, bleibt ungewiss.

Warum ist die ohnehin schlechte Rettungssituation jetzt noch schwieriger?

Momentan hat Italien aufgrund der Corona-Krise seine Häfen zu „unsicheren Häfen“ deklariert, ebenso wie Malta.

An Ostern kamen tatsächlich zwölf Menschen im zentralen Mittelmeer ums Leben. Die Notrufe wurden veröffentlicht. Die Menschen flehten am Telefon um Hilfe, ja sie flehten um ihr Leben. Doch niemand kam, niemand half ihnen.

Der maltesische Ministerpräsident kommentierte das Unglück so, dass er ein „reines Gewissen“ habe, weil er aus „nationalem Interesse“ gehandelt habe. Wie kann der Tod von Schutzsuchenden im Interesse einer europäischen Nation sein? Wie können geschlossene europäische Häfen und unterlassene Hilfeleistung Menschen in Europa das Leben retten?

Was kann ich tun? Wie solidarisiere ich mich mit Sea-Eye?

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Ursula, hast du noch eine Message an unsere Leser*innen?

Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie müssen wir mehr denn je solidarisch handeln und jene unterstützen, die von dieser Katastrophe besonders schwer betroffen sind. https://seebruecke.org/leavenoonebehind/aufruf/

 

Interview von Nele Graf

Titelbild von Nick Jaussi



18.05.2020 12:09,
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